|
LdE-Perspektiven
|
„Lernen durch Engagement“ als Resilienzinstrument: Krisenbewältigung in Coronazeiten
Beitrag von Regine Leonhardt, LdE-Projektleiterin, Stiftung Gute-Tat, München
Was, wenn alles ganz anders wäre? Mit diesem Slogan wirbt die Stiftung Lernen durch Engagement in Berlin für die innovative Unterrichtsform des Service-Learnings. In Zeiten, wo sich das Coronavirus mit all seinen Folgen machtvoll in unser kollektives gesellschaftliches und politisches Gedächtnis einschreibt, bekommt der Satz nun ganz unerwartete Aktualität. Es könnte nicht bloß alles „ganz anders“ sein, es hat sich bereits alles in unvorstellbarer Geschwindigkeit verändert und wir sind gezwungen, jeden Tag neue, zum Teil drastische Veränderungen unserer Lebenswelt zur Kenntnis zu nehmen und zu verarbeiten.
Die Schule steht jetzt besonders im Fokus der Aufmerksamkeit: ihre Schließung und die damit verbundenen Auswirkungen machen nicht nur ihre gesellschaftliche Bedeutung klar, sondern zeigen gleichzeitig fundamentale Schwächen ihres Systems. Die Folgen jahrelanger Verschleppung flächendeckender Digitalisierung wird dramatisch deutlich. Homeschooling, vormals hierzulande geradezu verfemt, wird plötzlich „alternativlos“, obwohl es keine verbindlichen Standards gibt. Lehrkräfte und Schulleitungen fühlen sich „von oben“ alleingelassen, Eltern sehen sich unzumutbaren Drucksituationen ausgesetzt.
Nie hat sich die Ungerechtigkeit unseres Bildungswesens so drastisch über Wochen und Monate vor den Augen der gesamten Öffentlichkeit entfaltet. Dass Bildung in der Krisenzeit nun ausschließlich bildungsstarken Familien in vertretbarem Maße zur Verfügung steht, erzeugt eine unerträgliche Schieflage, die sich in ihren weitreichenden Auswirkungen noch sehr lange zeigen wird.
Was aber, wenn alles ganz anders wäre? Wenn Schule sich zukünftig nicht mehr ausschließlich auf ein selektionsbasiertes Leistungssystem stützte, das im Augenblick eines spontanen Versagens des Regelbetriebs sofort eine Unzahl an Verlierern produziert? Was, wenn infolge dieser Krise mit LdE eine Unterrichtsmethode in Schule verankert würde, die genau jene Kompetenzen fördert und entwickelt, die aktuell am meisten gefragt sind: vernetztes Denken, Kreativität, Kritikfähigkeit und differenziertes Urteilsvermögen, die spontane und gezielte Einbringung individueller Fähigkeiten, das Bewusstsein für die Bedeutung eines funktionierenden Gemeinwesens, Empathie, ethische Verantwortung, zivilgesellschaftliches Engagement? Was, wenn die festgeschriebene Vermittlung dieser Kompetenzen mittels Service- Learning unsere Schulgesellschaft (und damit die Gesellschaft an sich) resilienter und fit für eine Zukunft macht, in der Pandemien und Katastrophensituationen zunehmen werden, wie die Forschung sagt?
Dann hätten Kinder und Jugendliche Übung in der Bewältigung unvorhergesehener Situationen. Sie würden ihre Rolle als gestaltungsfähige, wirkungs- und verantwortungsvolle Mitglieder der Gemeinschaft ausspielen und ihr Wissen selbstverständlich anwenden können. Sie würden ihre Stärken kennen. Und sie würden lernen, die Erfahrung sinnvoller Gemeinschaftsarbeit zu nutzen, um sich selbst und andere zu stärken und seelisch zu stabilisieren.
Nun, wo wir alle erlebt haben, dass selbst namhafte Wissenschaftler und hochrangige Politiker*innen sich täglich öffentlich als Lernende zeigen müssen, deren vermeintliche Gewissheiten im Stundentakt überholt sein können, ergibt sich auch für Lehrkräfte die Chance, sich von ihrer Rolle als dem allwissenden Provider von Fachinhalten zu entkoppeln und ihren Schüler*innen mehr Verantwortung für deren Lernprozesse zu übertragen.
Vielleicht ist diese Zeit der Umwälzung eine Chance zum Wandel hin zu mehr Partizipation und Verantwortungsübernahme. Vielleicht bewirkt die Anforderung, derzeit vieles beherzt improvisieren zu müssen auch, dass möglich wird, was noch vor Kurzem als zu unsicher, zu ergebnisoffen, zu wenig leistungsorientiert verworfen und abgelehnt worden wäre. Der enorme Zuwachs an informellem Wissen, den wir dieser Tage überall erleben, ist ein kollektiver Schatz. Schule kann ihn heben, wenn sie es schafft, die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dieser Herausforderung aufzugreifen, mit dem Schulstoff zu verbinden und in die Zukunft zu investieren. Pack ma‘s!
zur Übersicht
|